Das Wood Wide Web - so funktioniert's

Das Wood Wide Web - so funktioniert's
3
Lesezeit ca. 2 Minuten

Und ewig singen die Wälder. Echt jetzt?

Ob die deutschen Wälder derzeit viel Grund zum Singen haben, ist schwer zu sagen. Zumindest ist in diesem Spätsommer 2018 ganz schön was los in unserem heimischen Forst: Schwere Waldbrände in Brandenburg mit verheerenden Folgeschäden. Baumbesetzer im Hambacher Forst, die dem geplanten Kahlschlag durch den Braunkohletagebau einen Strich durch die Rechnung machen wollen. Dazu kommen der stetig wachsende Befall unserer Kastanienbäume durch die Miniermotte und jetzt ganz neu: Tropische Riesenzecken, die rein theoretisch das Zecken-Fleckfieber und das Krim-Kongofieber auf Tier oder Mensch übertragen können. Da kommt schon einiges zusammen.

Das Wurzel-Netzwerk

Die Drähte des waldinternen Internets dürften auf jeden Fall glühen. Ach nee, glühen ist ja jetzt ganz doof, es herrscht nämlich vielerorts noch die höchste Waldbrandgefahrenstufe. Nicht, dass am Ende noch mehr von unseren grob geschätzt 90 Milliarden deutschen Bäumen einer Feuersbrunst zum Opfer fallen. Rechne, rechne…Das macht ja knapp 1100 Bäume pro Einwohner – so viele hätte ich jetzt echt nicht vermutet. Eigentlich liegt es auf der Hand, dass eine derart große Population von Lebewesen über ein eigenes Kommunikationssystem verfügen muss, um das Survival-of-the-fittest-Programm erfolgreich zu überleben. Also werfen wir doch einen näheren Blick auf das Internet des Waldes, das sogenannte Wood Wide Web. Diese Bezeichnung ist übrigens keine Erfindung des Erfolgsförsters Peter Wohlleben, obwohl er den Begriff in letzter Zeit erst so richtig populär gemacht hat.

Ein kurzes Zwischenhurra auf Peter Wohlleben

Überhaupt hat Herr Wohlleben (Nomen est hier aber wirklich mal Omen!) mit seinen Büchern zu einem völlig neuen Verständnis unserer heimischen Wälder beigetragen. Ein naturalistischer Aufklärer in High-Tech-Zeiten: größer könnte der Kontrast wohl kaum sein. Aber wahrscheinlich liegen genau darin Reiz und Erfolg seiner Bücher begründet. Der Durchschnittsmensch ist angesichts der rasanten Entwicklung seiner Umwelt oft überfordert und übersättigt zugleich. Insofern ist es nur allzu verständlich, dass der gestresste Bürger einen Rückzugsort benötigt. Einen Platz, der sowohl vor der geistigen als auch der körperlichen Reizüberflutung Schutz bieten kann. Was liegt da in unseren Breitengraden mit ihrem üppigen Baumbestand näher als der Wald? Man bedenke: Mehr als tausend Bäume pro Mensch. Also: Vielen herzlichen Dank Herr Wohlleben, dass Sie dieses uralte Menschheitswissen bei den waldaffinen Landbewohnern wieder in Erinnerung gerufen haben und es Ihnen gleichzeitig gelingt, die vom wäldischen Treiben so gänzlich unbeleckten Städter neugierig auf den Lebensraum Wald zu machen. Doch jetzt back to the roots und das im wahrsten Sinne des Wortes.

WWW – das Wood Wide Web

Zurück im Waldboden umgibt uns ein unüberschaubares Geflecht von Baumwuzeln, das wiederum selbst von Myriaden feiner Pilzfäden durchwoben ist. Es mutet ein wenig an wie der Blick in ein Gehirn mit seinen Synapsen und Nervenleitbahnen. Dass diese Sichtweise gar nicht so abwegig ist, belegen jüngste Forschungen. Die als weißes Geflecht im Waldboden zu erkennenden Pilzfäden (Pilzhyphen) verbinden die Wurzeln aller Bäume und Sträucher miteinander. Sie übertragen neben Nährstoffen und Wasser auch Botenstoffe, mit deren Hilfe die Pflanzen Informationen untereinander austauschen können. Da diese Pilze eine ungeheure Ausdehnung erreichen, ist der eigentliche Zugriffsbereich eines Baumes sehr viel größer als dies nur über seine normalen Wurzeln der Fall wäre. So können sich weit voneinander entfernt stehende Bäume zum Beispiel gegenseitig vor drohendem Schädlingsbefall warnen.

Kein freies Wald-Lan

Nichts in dieser Welt ist wirklich umsonst, und so muss auch jeder Baum seinen Anschluss an das Pilzhyphen-Netzwerk mit etwa einem Drittel seiner gesamten Zuckerproduktion bezahlen. Ähnlich wie bei der menschlichen Rundfunkgebühr (ehemals GEZ), verlässt sich der Betreiber (der Pilz) nicht auf die Zahlungswilligkeit seiner Kunden und schließt kurzerhand jeden Baum ungefragt an das Netzwerk an. Dabei lässt allerdings die Übertragungsgeschwindigkeit der Daten zu wünschen übrig: Bei etwa einem Zentimeter pro Sekunde ist Schluss. Andererseits habe ich aber auch noch nie einen Baum getroffen, der es besonders eilig gehabt hätte, seinem Bekannten am anderen Ende des Waldes eine Mail zu schicken.

Wald als Seelenbalsam

Das klingt alles irgendwie furchtbar menschlich und technisch, schafft es aber in meiner Wahrnehmung nicht, den Wald zu entmystifizieren und ihn seines ganz speziellen, geheimnisvollen Zaubers zu berauben. Ich gehöre zu den Menschen, die das Glück hatten in unmittelbarer Nähe großer Waldgebiete aufzuwachsen und so eine intensive Waldbindung zu entwickeln. Heute in Berlin ist ein Besuch im Wald mit einigem Aufwand verbunden, aber kaum im kühlen und schattigen Grün hoher Bäume angekommen, stellt sich sofort ein tiefes Wohlbehagen ein. Daher ist mein Tipp zum Schluss heute nur ganz kurz und simpel: Macht öfter mal einen Waldspaziergang – Körper und Geist werden es euch danken.

„Die vielen Bäume und die wenigen Menschen – die machen den Wald so schön.“

Otto Weiß (1849 - 1915), Wiener Musiker und Feuilletonist

Wie findest du diesen Tipp?

Voriger Tipp
Habt ihr das gewusst? 10 Fakten zum Herbst
Nächster Tipp
Kinderspielzeug am Gehweg: Ein Versuch, Raser zu stoppen
Tipp erstellt von
am
Jetzt bewerten!

Bewerte jetzt diesen Tipp!
Vergib zwischen ein und fünf Sternen:

4 von 5 Sternen
auf der Grundlage von
7 Kommentare

Tipp online aufrufen
Hol dir unsere besten Tipps als PDF / eBook!

Du druckst gerne unsere Tipps und Rezepte aus? Unter www.frag-mutti.de/ebooks findest du unsere besten Tipps und Rezepte zum Abspeichern und Ausdrucken. Nur 2,90 €!