“Haribo macht Kinder froh – und Erwachsene ebenso” Warum hat sich dieser alte Werbeslogan so tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt? Ganz einfach: Weil er sich reimt. Obwohl die Werbebranche den guten alten Reim mittlerweile als veraltet ansieht, hat er nichts von seiner Wirkung verloren. Grund genug, einen näheren Blick auf das Reimen und Dichten zu werfen. Oder, um es in Versform auszudrücken:
Frag Mutti scheint der rechte Ort,
um auch das gereimte Wort
auf die Waag‘ aus Gold zu legen
(nicht zuletzt des Tippes wegen)
Von Herzen und Schmerzen
Schlagersänger, genauer gesagt deren Texter, wissen um die Magie des gereimten Wortes. Sie reimen auf Teufel komm raus, egal, ob sich die alten Meister des Genres, wie Johann Wolfgang von Goethe, im Grabe umdrehen. Wenn die Wildecker Herzbuben aus den Tiefen ihrer beeindruckenden Biomasse schmettern:
Herzilein
du musst nicht traurig sein
ich weiß
du bist nicht gern allein
und schuld war doch nur der Wein…
…dann treibt mir das die Tränen in die Augen. Und das sind beim besten Willen keine Tränen der Ergriffenheit. Trotzdem treibt dieser Schmus seine gereimten Widerhaken tief in die Hirnrinde und zeckt sich dort fest. Widerstand zwecklos. Wer einmal „Atemlos durch die Nacht“ gehetzt ist, weiß, dass er erst wieder Luft holen darf, wenn „ein neuer Tag erwacht“. Wobei „Nacht“ und „erwacht“ zumindest einen logischen Zusammenhang vorweisen können und damit schon zu den intelligenteren Reimen gehören. Helene sei Dank.
Kinder lieben Reime
Die Pädagogik macht sich das Phänomen des Reims schon sehr lange zunutze. Kinder lieben Reime und so haben Verhaltensregeln in Versform eine deutlich längere Halbwertszeit in der kindlichen Erinnerung, als bloße Ermahnungen. Schon Heinrich Hoffmann schrieb in seinem 1845 veröffentlichten „Struwwelpeter“: „Messer, Gabel, Scher’ und Licht – sind für kleine Kinder nicht." Über den pädagogischen Sinn oder Unsinn dieser Aussage mag man streiten. Unbestritten aber ist, dass der Spruch auch nach 172 Jahren noch geläufig ist.
Als ehemaliger Erzieher habe ich die Faszination von Reimen auf Kinder aus erster Hand erleben dürfen. Wenn die „kleine, kleine Spinne“ zum zehnten Mal an der „Regenrinne“ raufkrabbelt, wird schnell klar: Die Beliebtheit eines Reims bei Kindern steigt proportional zur Zahl seiner Wiederholungen. Auch völlig sinnfreie Reime sind der Renner. Das zeigt sich besonders gut bei den unzähligen Varianten von Abzählreimen. „Eene meene minke manke pinke panke use buse backe dich eia weia weg“, um nur ein Beispiel zu nennen.
Dichten für Einsteiger
Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen Selbstgereimtes gut ankommt. Man denke nur an Hochzeiten, Büttenreden, Abizeitungen, Geburtstagskarten, Liebesbriefe oder Frag Mutti-Tipps. Wer sich selbst gerne als Pöt (neudeutsch für Poet) versuchen möchte, wird vergeblich nach einer echten Anleitung suchen. Es ist ein bisschen wie Fahrradfahren: Oft hinfallen, um irgendwann geschwind davonzuradeln. Wer das gerne mit Stützrädern üben möchte, kann auf sogenannte Reimlexika zurückgreifen, die es auch im Internet gibt. Dort gibt man einen Begriff ein, zu dem dann alle passenden Reimwörter angezeigt werden. Ein Beispiel: https://www.lyrikecke.de/reimlexikon
Das Reimschema
Es ist am einfachsten mit einem übersichtlichen Reimschema zu beginnen. Insbesondere der Paarreim und der Kreuzreim sind ein gutes Übungsfeld für Neueinsteiger. Der Paarreim folgt dem Schema AABB. Das bedeutet: Zeile eins und zwei, sowie Zeile drei und vier reimen sich. Ein sehr bekanntes Beispiel ist der „Erlkönig“ von Goethe:
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Beim Kreuzreim findet das Reimschema ABAB Verwendung. Auch hierzu ein Beispiel aus dem Gedicht „Abschied“ unseres berühmten Dichtervaters:
Zu lieblich ist's, ein Wort zu brechen,
Zu schwer die wohlerkannte Pflicht,
Und leider kann man nichts versprechen,
Was unserm Herzen widerspricht.
Das Versmaß oder Metrum
Hier will ich wirklich nur an der theoretischen Oberfläche kratzen, alles andere führt zu Jambus, Trochäus oder Daktylus. Damit mögen sich Germanisten beschäftigen, zum Schreiben von Gebrauchslyrik benötigt man dieses Wissen nicht. Wichtig ist: Ein Gedicht, gleich welchen Versmaßes, sollte einen Rhythmus haben. Das bedeutet: Die einzelnen Worte einer Gedichtzeile müssen rhythmisch akzentuiert vorzulesen sein. Dabei herrscht künstlerische Freiheit und Worte dürfen verkürzt oder verfremdet werden, um ins rhythmische Muster zu passen (siehe Waag‘ anstatt Waage in der Einleitung oben).
Übung macht den Dichter
Wie in jeder Kunstform gilt auch beim Dichten: Ein Prozent Inspiration kommt auf 99 Prozent Transpiration. Soll heißen: Jeder, der genug übt, wird irgendwann in der Lage sein, ansprechende Reime, Verse oder Gedichte zu schreiben.
Will’s auch am Anfang nicht gelingen,
die Worte ins Gedicht zu fassen,
musst du halt mit ihnen ringen,
bis sie am Ende alle passen.
(© Kriss J)
In diesem Sinne: Frohes Dichten. Hoffentlich finden eure Versuche den Weg hier in die Kommentare.