Hach, der menschliche Körper. Unerschöpfliche Quelle schriftstellerischer Inspiration, Fundus von tausendundeiner Geschichte, was täte ich bloß ohne ihn? Jeder hat einen Körper. Irgendwie halt, mal mehr, mal weniger. Und jeder redet gerne darüber. Sind ein paar gepflegte Gebrechen nicht immer interessanter als das leidige Thema Wetter? Was sind schon Starkregen und Hitzewelle im Vergleich zu einem echten Hühnerauge oder einem seltenen Ekzem?
Nachdem ich euch in diversen Beiträgen bereits in die entlegensten Regionen meines Körpers mitgenommen habe, vom Bluthochdruckrauschen in meinen Adern bis hin zum Ohrenschmalz-Pfropf im Gehörgang, möchte ich euch mein persönliches Gallenblasen-Drama in mehreren Akten nicht vorenthalten. Wohlan, wackere Körperforscher, packt Fackeln und Proviant ein, wir brechen auf in die Tiefen des menschlichen Gekröses.
Was ist die Gallenblase?
In meiner Unwissenheit dachte ich lange Zeit, dass die Galle (bilis) ein eigenständiges Organ ist, wie Milz oder Leber. Dabei handelt es sich bei Galle um ein Sekret der Leber, das in der Gallenblase (Vesica fellea) gespeichert wird. Wo genau? Wir wandern entlang der Speiseröhre abwärts. Sobald der Magen in Sichtweite kommt halten wir uns im Oberbauchbereich schräg rechts und finden dort im hinteren Schatten der Leber die Gallenblasengrube mit der darin liegenden Gallenblase. Ein kleines birnenförmiges Organ, etwa 8 bis 12 Zentimeter lang und 4 bis 5 Zentimeter breit. Nicht spektakulär und doch von unschätzbarem Nutzen in Bezug auf sämtliche alimentären Prozesse: Sie bildet das Zwischenlager für 30 bis 80 Milliliter des in der Leber produzierten Gallensafts (der Galle). Wird dem Körper fettreiche Nahrung zugeführt, gibt die Gallenblase diesen Saft in den Zwölffingerdarm (Duodenum) ab, wo er hilft die Nahrung zu verdauen. Einer der vielen Prozesse, die von uns unbemerkt im Körper ablaufen. So weit, so selbstverständlich. Leider hat die kleine Gallenblase in vielen Fällen ein unschönes Hobby: Sie sammelt Steine.
Wie entstehen Gallensteine?
Vereinfacht ausgedrückt sind Gallensteine (Cholelithiasis) feste, kristallisierte Ausfallprodukte, die infolge eines Ungleichgewichts der löslichen Stoffe innerhalb der Gallenflüssigkeit entstehen. Das war ein langer Satz. Was uns davon interessiert ist der Begriff „feste Produkte“. Diese festen Produkte, der Einfachheit halber Steine genannt, sammeln sich in der Gallenblase. Dort machen sie in der Regel keine Probleme und bleiben daher oft unentdeckt. Beschwerden machen sie erst, wenn sie festklemmen und den Abtransport der Gallenflüssigkeit behindern. Aber dann richtig: Es kann zu äußerst schmerzhaften Gallenkoliken kommen, bei denen der Schmerz bis in Schulter und Rücken ausstrahlt. Etwa 10 bis 15 Prozent aller Deutschen sind von der Steine-Sammelleidenschaft ihrer Gallenblase betroffen, Frauen häufiger als Männer.
Wie werden Gallensteine diagnostiziert?
Da die Gallenblase von außen nicht gut zu tasten ist, fallen Gallensteine, die keine Beschwerden verursachen, in der Regel erst bei einer Ultraschalluntersuchung (Sonografie) des Abdomen auf. Bei mir persönlich waren es nächtliche starke und undefinierbare Bauchschmerzen, die mich auf die Ultraschall-Liege meiner Hausärztin verschlugen. Plötzlich deutete sie auf den Monitor des Ultraschallgeräts „Na, da haben sie aber eine hübsche Sammlung kleiner Steinchen.“ Ich sah nur Schneegestöber. „Doch hier“, beharrte sie, „wir nennen das Grieß.“ Sie schickte mich zu einem Facharzt (Gastroenterologe), der ihre Diagnose bestätigte und mir zu einer operativen Entfernung der Gallenblase riet (Cholezystektomie). Ich googelte mich durch sämtliche Gallenforen im Netz und fand die Bestätigung, dass mögliche Alternativen zu einer OP zwar bestehen, aber nicht sehr vielversprechend sind, beziehungsweise nicht dauerhaft helfen. Also Operation. Das war im Frühjahr 2015.
Beschwerden nach der OP
Nachdem ich aus dem Aufwachraum zurück in mein Zimmer geschoben wurde, entdeckte ich auf dem Nachttisch ein kleines, durchsichtiges Plastikdöschen mit meinem Namen auf dem Klebchen. Darin waren – kein Witz – meine Gallensteine. Ich habe sie gezählt, 42 kleine Bröckchen in einer grünlichen Flüssigkeit. Irgendwie eklig, aber irgendwie auch meins. Zumindest gewesen. Zwei Tage später wurde ich mit der Anordnung entlassen, beim Essen „nicht so reinzuhauen“, ansonsten sei alles wie immer. Weit gefehlt. Egal, was und wie wenig ich in der nächsten Zeit zu mir nahm, mit Fett oder ohne, das Ergebnis war stets das gleiche: Spätestens zehn Minuten nach dem letzten Bissen saß ich auf dem Klo und kämpfte mit heftigsten Krämpfen und Durchfall. Meine Hausärztin verschrieb mir Enzyme vom Schwein, die meine Verdauung unterstützen sollten. Der Effekt war gleich Null. Ich aß fettarm in Zwergenportionen und saß kurz darauf wieder hungrig auf dem Klo. Bald aß ich sowieso nur noch in sicherer Nähe einer Toilette und bevor ich das Haus verließ, gar nichts mehr.
Der von mir aufgesuchte Gastroenterologe diagnostizierte ein Gallensäureverlustsyndrom, bei dem zu viel Gallensaft in den Dünndarm gelangt und dort sogenannte „chologene Durchfälle“ auslöst. Auch der sperrige Begriff „Postcholezystektomiesyndrom“ fiel in dem Gespräch (bedeutet: Post = nach, chole = Galle, zyst = Blase, ektomie = Entfernung, syndrom = Beschwerdebild). Ein Phänomen, das bei einigen Menschen nach Entfernung der Gallenblase auftritt, aber machen könne man da nicht sehr viel. Ich war aber nicht bereit, meine restlichen Lebensjahre in unmittelbarer Nähe einer Toilette zu verbringen. Nichts mehr zu essen war auch keine echte Alternative.
Der rettende Tipp: Cholestyramin
Ich machte mich wieder auf in die virtuelle Welt der Internet-Gallenforen und siehe da: Ich war nicht allein mit meinem Problem. Nach einiger Recherche stieß ich auf einen Tipp, den sowohl meine Hausärztin als auch der Facharzt mir nicht hatten geben können: Ein Wirkstoff, der eigentlich zur Behandlung erhöhter Cholesterinwerte eingesetzt wird, aber angeblich Wunder bei chologenen Durchfällen wirken sollte. Cholestyramin. Um es kurz zu machen: Meine Hausärztin zeigte sich verblüfft, verschrieb mir aber eine Packung von der (ungelogen) Größe einer Schuhschachtel. Darin waren 100 Beutelchen mit einem wasserlöslichen Pulver. Ich glaube eigentlich nicht an Wunder, aber die Wirkung des Cholestyramins auf meinen Darm lässt mich an dieser Grundhaltung zweifeln.
Seit der ersten Einnahme (einfach den Inhalt eines Beutels in Wasser gerührt vor dem Essen trinken) bin ich komplett beschwerdefrei, egal was ich esse. Natürlich liegt dem Medikament wie üblich ein Beipackzettel bei, dessen Lektüre einen angesichts der möglichen Nebenwirkungen schwindelig macht. Ich habe bei mir allerdings keine negativen Auswirkungen bemerken können und bin jeden Tag dankbar für die zurückgewonnene Lebensqualität. Falls jemand von euch unter ähnlichen Problemen leidet: Einfach den Arzt eures Vertrauens nach Erfahrungen mit dem Wirkstoff Cholestyramin fragen. Ach ja – im Netz sprechen viele von dem schrecklichen Geschmack des Mittels. Es gibt verschiedene Hersteller und ich kann versichern, dass Ratiopharm eine Sorte produziert, die nicht schlecht schmeckt, eher wie eine Mischung aus einer Magnesium- und einer Vitamin-C-Brausetablette.