Als Adolph Freiherr Knigge im Jahre 1788 sein Werk „Über den Umgang mit Menschen“ veröffentlichte, hat er wohl nicht ahnen können, dass sein Benimmbuch auch knapp 230 Jahre später noch im Gespräch sein würde. Dabei ist der Begriff „Benimmbuch“ irreführend: Es lag nicht in Knigges Absicht, ein Regelwerk über die korrekten Tischmanieren in feiner Gesellschaft zu verfassen. Sein Buch sollte vielmehr ein Ratgeber sein, wie man richtig mit „Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmungen des Geistes und Herzens“ umgeht. Erst nach Knigges Tod im Jahr 1796 ergänzte der Verlag sein Werk um die bis heute bekannten Benimm- und Verhaltensregeln.
Der „echte Knigge“ ist topaktuell
Unsere moderne Zeit ermöglicht Kommunikation in Sekundenschnelle über jede Distanz und Grenze hinweg. Die noch vor wenigen Jahrzehnten ungeahnten Möglichkeiten von PC und Smartphone bieten viel Raum für verbale Fehltritte jeglicher Art. Umso wichtiger ist es, sich an die grundlegenden Regeln des menschlichen Miteinanders zu halten. Speziell, wenn es um den Austausch mit Menschen „von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten etc.“ geht, kommt es sonst schnell zu Missverständnissen und Streit. Ein Phänomen, das sich auch in vielen Kommentaren hier bei Frag Mutti sehr anschaulich zeigt. Merke: Nicht jede bissige Bemerkung lässt sich mit einem Smiley entschärfen.
Höflichkeit zählt
„Höflichkeit ist ein Kapital, das den reicher macht, der es ausgibt.“ Dieses persische Sprichwort bringt es meiner Meinung nach schön auf den Punkt. Wer gut bei anderen Menschen ankommen möchte, sollte höflich sein. Leider ist der Begriff der Höflichkeit sehr schwammig und dem steten Wandel unterworfen. Was gestern noch als höflich galt, kann schon morgen altbacken oder spießig wirken. Hilft der moderne Mann einer emanzipierten Frau noch in den Mantel? Und wer zahlt die Rechnung im Restaurant? Insbesondere die ältere Generation moniert den Verlust der früher angeblich besseren Umgangsformen. Damals war ja alles irgendwie „Mehr Lametta“. Handelt es sich dabei nur um das subjektive Empfinden und Rumgenöle der ewig Gestrigen? Umfragen sagen nein: Rund 75 Prozent der Befragten aller Altersgruppen denken, dass die Menschen früher höflicher waren. Ich sehe das übrigens auch so. Werfen wir einen Blick auf zwei der häufigsten Streitpunkte in Sachen Höflichkeit: Die Duz-Anrede und Pünktlichkeit.
Darf ich Sie duzen oder muss ich Dich siezen?
Die Hierarchien werden immer flacher. Das gilt sowohl im Arbeitsalltag als auch im privaten Miteinander. Standesunterschiede spielen mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Die Tatsache, dass jemand aus „gutem Hause“ kommt, ist für mich kein Kriterium mehr, ob ich ihn duze oder sieze. Und im Netz sind sowieso alle irgendwie gleich – hier gehört das Duzen bereits zum guten Ton. Ich mag das. Andererseits schätze ich das „Sie“ als Anrede im echten Leben sehr. Es schützt vor allzu schneller Vertraulichkeit und schafft eine Distanz, aus der heraus ich mein Gegenüber erst einmal einordnen kann. Menschen, die offensichtlich älter sind als ich, duze ich grundsätzlich erst nach Aufforderung. In einem respektvoll freundschaftlichen Umgang hat sich für mich die Anrede mit „Sie“ und dem Vornamen bewährt.
Als pünktlicher Mensch steht man sehr viel herum und wartet
„Meine Pünktlichkeit drückt aus, dass mir deine Zeit so wertvoll ist wie meine eigene.“ Dieses Zitat der Sozialpädagogin Helga Schäferling sagt eigentlich schon alles. Ich gehöre seit jeher zu den Menschen, die großen Wert auf Pünktlichkeit legen. Mehr noch auf die eigene als auf die der anderen. Wenn ich mir meine Verabredungen der letzten Zeit so anschaue, scheine ich mit dieser Haltung recht einsam dazustehen. Das berühmte akademische Viertel ist tot, es lebe die unakademische halbe Stunde. Dort liegt mittlerweile meine Schmerzgrenze: Nach 30 Minuten Wartezeit ohne Entschuldigung des Zuspätkommenden gehe ich einfach. Jeder hat ein Handy und kann kurz durchrufen oder eine SMS schicken, dass er sich verspätet. Es gibt nur sehr wenige Momente im Leben, in denen das Einhalten dieser simplen Höflichkeitsregel nicht möglich wäre.
Für den Rest gilt: Fingerspitzengefühl beweisen
Bei allen anderen Höflichkeitsformen, neben dem korrekten Duzen und der Pünktlichkeit, kann man sich im Grunde auf eine einfache Faustregel besinnen: Alles, was wir selbst als höflich empfinden, wird der Rest der Menschheit ähnlich sehen. Berlin ist jetzt nicht gerade als Hort der guten Umgangsformen bekannt, aber selbst hier sorgt eine aufgehaltene Tür für dankbare Blicke. Welche Form der Unhöflichkeit ist für euch nicht zu entschuldigen? Ich bin gespannt und lasse euch in den Kommentaren höflichst den Vortritt.