Meine Mutter bewahrte das dicke und für uns Kinder verbotene Buch in ihrem Kleiderschrank auf. Wahrscheinlich dachte sie, dass ihr Kleiderschrank für einen siebenjährigen Buben uninteressant sei, aber weit gefehlt. Nachdem ich bereits auf vorherigen Entdeckungstouren in diesem Schrank versteckte Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke gefunden hatte, war das hölzerne Ungetüm zu einem meiner begehrten Hotspots in der Wohnung geworden. Auf einem dieser Streifzüge, die natürlich nur möglich waren, wenn meine Eltern außer Haus waren, entdeckte ich das eingangs erwähnte Buch. „Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch“ stand auf dem grauen Einband. Nichtsahnend schlug ich es auf und starrte dann mit morbider Faszination auf das gestochen scharfe Schwarzweiß-Foto eines amputierten Raucherbeins. Ich blätterte weiter und stieß auf andere, ebenso gruselige Fotos: Nekrotische Geschwulste in der Mundhöhle, eitrige Ekzeme der Haut, blutige Operationsnarben und missgebildete Embryos, die in mit Flüssigkeit gefüllten Glasbehältern schwammen.
Die Macht der Imagination
In den folgenden Nächten schlief ich nicht besonders gut, redete aber mit niemandem über meine Entdeckung. Ich lag oft wach in meinem Bett und stellte mir vor, wie meine Familie und ich selbst von den im Pschyrembel abgebildeten Krankheiten dahingerafft würden. Diese schaurigen Phantasien hielten mich aber nicht davon ab, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wieder im Pschyrembel zu blättern und mich zu ekeln. Je mehr Bilder ich sah, desto argwöhnischer begann ich meinen jungen Körper nach verräterischen Spuren lebensbedrohlicher Krankheiten abzusuchen. Im Nachhinein denke ich, dass in dieser Zeit der Grundstein für meine latent schlummernde Hypochondrie gelegt wurde. Die ganze Angelegenheit flog auf, als ich das nächste Mal tatsächlich eine schwere Erkältung bekam und meiner Mutter, die zu dieser Zeit als Krankenschwester arbeitete, weismachen wollte ich hätte Lungenkrebs. Mindestens. Vielleicht aber auch Typhus oder Fleckfieber. Dann gestand ich unter fiebrigen Tränen meine heimlichen Exkursionen in die Welt von Elend und Krankheit. Und jetzt bitte einen dicken, feuchten Schwamm über den Rest dieser unrühmlichen Geschichte.
Vom Pschyrembel zu Google
Wer heutzutage unter den Symptomen einer unbekannten Krankheit leidet, wird in den seltensten Fällen zum Pschyrembel greifen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Was sind auch schon die gut 2.000 Seiten der 267. Auflage gegen den allmächtigen Internetgott Google mit seinen zig Millionen Einträgen zu Krankheiten? Allein die Suche nach dem Stichwort „Kopfschmerzen“ fördert bei Google 9.160.000 Ergebnisse zutage. Da wird doch das eigene Zipperlein garantiert dabei sein, oder? Doch genau in diesem Überangebot liegt auch das eigentliche Problem der Krankheitsrecherche im Internet: Klickt man als Laie die weiterführenden Links zu einer x-beliebigen Krankheit an, landet man irgendwann zwangsläufig bei der Beschreibung irgendeiner scheußlichen, aber dafür garantiert tödlichen Erkrankung. Merke: Nicht jeder Katerkopfschmerz lässt sich auf einen Gehirntumor zurückführen.
Das Dilemma der Ärzte
Die meisten Ärzte schätzen gut informierte Patienten. Sie sind besser vorbereitet und können den Ausführungen des Arztes leichter folgen. Schwierig wird es nur, wenn der Patient dem Arzt bereits die komplette Diagnose nebst möglicher Behandlungsmaßnahmen vor den Kopf knallt, bevor dieser auch nur eine Frage gestellt hat. Es verhält sich ja folgendermaßen: Das Internet ist ein öffentliches Medium in dem jeder (und das heiß wirklich: JEDER) seinen Senf dazugeben kann. Dass dabei auch eine Menge Halbwissen (bestenfalls) bis hin zum totalen Blödsinn (schlimmstenfalls) verbreitet wird, liegt auf der Hand. Ich habe bereits Ärzte bei der Erwähnung meiner eigenen Internet-Recherche die Augen verdrehen sehen. Laut einer Bertelsmann-Umfrage versuchen sich etwa 40 Prozent der Deutschen an einer Selbstdiagnose per Internet, bevor sie wegen ihrer Beschwerden tatsächlich einen Arzt aufsuchen. Einen Besuch beim leibhaftigen Arzt kann die eigene Internet-Recherche aber in keinem Fall ersetzen.
Besonders gefährdet: Hypochonder
In der Regel bildet sich ein Hypochonder seine Symptome nicht ein, neigt aber dazu diese völlig falsch zu interpretieren, damit sie besser in „sein“ Bild der Krankheit passen. Dr. Google leistet dabei eine unrühmliche Hilfestellung, indem er den Kranken mit viel zu viel irrelevanten oder gar irreführenden Informationen füttert. Gesundheits-Experten sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einem neuen Phänomen, der sogenannten Cyberchondrie.
Verlässliche Quellen nutzen
Wer sich trotz der genannten Unsicherheitsfaktoren in die Sprechstunde von Dr. Google begibt, sollte darauf achten seriöse Quellen zu nutzen. Hier sind insbesondere die Webseiten staatlicher Einrichtungen oder der Krankenkassen zu nennen, beispielsweise die Webseite „Patienten-Information“ der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Wer sich unsicher ist, ob eine Webseite tatsächlich seriös ist oder nur den Zweck verfolgt sensible Daten, beziehungsweise euer Geld abzugreifen, kann sich an folgender Checkliste orientieren.
Checkliste für Webseiten
Natürlich erhebt diese Checkliste weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch ist sie ein hundertprozentiger Garant für die Seriosität einer Webseite. Treffen jedoch einer oder gleich mehrere dieser drei Punkte auf die von euch besuchte Seite zu, ist erhöhte Wachsamkeit geboten.
- Fehlendes oder unvollständiges Impressum – Nach § 5 des Telemediengesetzes (TMG) beziehungsweise § 55 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) ist der Betreiber einer Webseite verpflichtet ein Impressum anzugeben. Diese Impressumspflicht gilt für alle Webseiten, die nicht rein privater Natur sind. Im Impressum müssen Namen und Anschrift des Seitenbetreibers „…leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar“ einzusehen sein.
- Fehlende Kontaktmöglichkeit – Mit der Angabe einer Kontaktmöglichkeit verhält es sich ähnlich wie mit der Angabe eines Impressums.
- Reißerische Gestaltung und/oder unübersichtliches Layout – Hier muss man sich ein Stück weit auf eigene Erfahrungswerte und sein Bauchgefühl verlassen. Erinnert eine Webseite allzu stark an einen Werbeprospekt aus dem Discounter, ist Vorsicht geboten. Seriöse Seiten legen in der Regel Wert auf eine übersichtliche Gestaltung, klare Strukturen und eine logische Menüanordnung.
In diesem Sinne: Bleibt schön gesund und glaubt nicht alles, was im Internet steht.