Cocooning – ein Trendwort auf dem Prüfstand

Cocooning – ein Trendwort auf dem Prüfstand
Lesezeit ca. 2 Minuten

Kurz ein paar Worte in eigener Sache: Allen Verfechtern unserer schönen deutschen Sprache sei versichert, dass es mir nicht darum geht, einen neuen Anglizismus salonfähig zu machen. Vielmehr möchte ich versuchen, einem neuen Trendwort etwas mehr Tiefenschärfe zu verleihen.

Mir ist das Wort „Cocooning“ beim Studium einer Frauenzeitschrift im Wartezimmer eines Arztes erstmals über den Weg gelaufen. Wie jedes mir unbekannte Wort notierte ich es in meinem Notizbuch, um es später daheim in Ruhe zu recherchieren. Da geht es mir wie dem Insektenforscher, der eine neue Käferspezies entdeckt: So etwas will klassifiziert und eingeordnet werden. Bis die deutschen Sprachwissenschaftler ein schönes neues Wort finden, das genau die gleiche Bedeutung wie „Cocooning“ hat, müssen wir uns mit dem Anglizismus arrangieren, oder ihn vermeiden. So, jetzt aber flugs zum Thema.

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Tatsächliche Bedeutung & Herkunft

Der Suchmaschinen-Übersetzer (ist euch aufgefallen, wie geschickt hier der Anglizismus Google-Translator vermieden wurde?) übersetzt „Cocooning“ aus dem Englischen mit verpuppen oder sich einspinnen. Im Tierreich bezeichnet dieser Begriff die totale Ruhigstellung einer Insektenlarve in einem Kokon (Puppe) als letzten Entwicklungsschritt hin zum geschlechtsreifen Vollinsekt. So weit, so gut, aber noch nicht wirklich befriedigend. Die Frauenzeitschrift beim Arzt hatte Cocooning als den neuen Trend in Sachen Gemütlichkeit gepriesen, nicht als Nachhilfeunterricht in Biologie. Aber zumindest gibt die schlichte Übersetzung von „Cocooning“ die grobe Richtung vor, in der nach einer tieferen Bedeutung des Begriffs gesucht werden muss.

Übertragene Bedeutung

Der Kokon eines verpuppten Insekts ist als Analogie zu den eigenen vier Wänden eines Menschen zu verstehen. Während aber die eingesponnene Insektenlarve zu völliger Untätigkeit verdammt ist, darf der Mensch sich beim Cocooning frei in seinem Zuhause bewegen und gemütliche Dinge tun. Es handelt sich also um eine bewusste Entscheidung zu mehr Häuslichkeit. In diesem Kontext wurde der Begriff Cocooning erstmals gegen Ende der 1980er Jahre von der amerikanischen Trendforscherin Faith Popcorn verwendet. Warum der Hype um diesen Begriff bei uns erst knapp vierzig Jahre später losgeht, ist mir ein Rätsel. Festzustellen bleibt: Alle medialen Versuche, diesen Trend als NEU zu verkaufen, gleichen der vergeblichen Bemühung auf einen Zug aufzuspringen, der schon lange durchgerauscht ist.

Ein sicherer Hafen

Soziologen haben herausgefunden, dass der Trend zum Cocooning sich parallel zur wachsenden Unübersichtlichkeit der Welt entwickelt. Bedeutet: Je weniger Orientierung der Mensch in unserer schnelllebigen Zeit findet, desto häufiger zieht er sich in sein privates Umfeld zurück. Auch in Krisenzeiten ist diese Tendenz zu beobachten, beispielsweise nach Terroranschlägen oder Naturkatastrophen. Der Handel weiß dieses zutiefst menschliche Verhaltensmuster geschickt zu nutzen und präsentiert ständig neue Produkte, die für noch mehr Gemütlichkeit im eigenen Heim sorgen sollen.

Dieser Rückzug in die häusliche Sicherheit ist aber nicht nur als Flucht, sondern gleichzeitig als Gegenbewegung zum unstillbaren Erlebnishunger der letzten Jahrzehnte zu verstehen. Dazu passt die (natürlich ebenfalls) englische Abkürzung JOMO, die für „The Joy of Missing Out“ (Die Freude am Verpassen) steht. All das hat im weitesten Sinn mit dem ebenfalls schwer im Trend liegenden Hang zu „mehr Achtsamkeit“ zu tun. Nach der Welle des „Das-musst-du-erlebt-haben“ kommt jetzt also die Bewegung des „Das-musst-du-gefühlt-haben“. Was würden wir bloß ohne die cleveren Soziologen machen? Wir wüssten ja gar nicht mehr, was uns gerade so umtreibt…

Die nahen Verwandten des Cocooning

Ein Begriff, der sich langsam aus dem Dunstkreis des Cocooning herauskristallisiert, ist (wie sollte es auch anders sein) ebenfalls ein Anglizismus: Homing. Er ist gut 20 Jahre jünger als das Cocooning und wird bereits als dessen Nachfolgetrend gehandelt. Im Grunde beschreiben aber beide Begriffe ein und dasselbe Phänomen. Ganz neu, aber laut Duden auch schon eingedeutscht, kommt das dänische „Hygge“ daher. Zur Abwechslung also mal ein Skandizismus, wie schön. Dänemark liegt ein Stückchen näher am Polarkreis als Deutschland, was den Trend es sich daheim hyggelig zu machen erklären könnte. Viele Kerzen, am besten ein Kaminfeuer, heißer Tee und selbstgestrickte Socken. Dann noch mit den liebsten Kekse backen und abends ein paar Freunde zu Punsch und Rommé einladen. Winter, du kannst kommen.

Und nun?

Ich persönlich lebe schon lange im Trend des Cocooning, Homing und es-sich-hyggelig-Machens, habe das allerdings immer ganz schlicht als heimelige Gemütlichkeit bezeichnet. Und genau das werde ich auch wohl in Zukunft machen. Es käme mir auch irgendwie seltsam vor einen Freund anzurufen und zu fragen: „Und, hast du heute Abend Lust vorbeizukommen? Wir können voll homingmäßig cocoonen und es uns bis zum Abwinken hyggelig machen…“. Manchmal liegt es auch voll im Trend Oldschool zu sein, oder?

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30 Kommentare

Ist das ein Tipp?😮
Cocooning=zuhause relaxen. Vielleicht als Tipp gedacht fuer diejenigen, die sich die Vorweihnachtszeit stressig machen.
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