Im Rausch der Geschenke

Im Rausch der Geschenke
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Oh du fröhliche, oh du stressige… In den Regalen der Supermärkte verkünden es die Lebkuchen bereits seit Ende September: Weihnachten naht. Ebenfalls unschwer zu erkennen an der Lichterflut geschmackloser LED-Weihnachtsdeko in Geschäften und Fußgängerzonen. Man kann es den Händlern nicht verdenken, macht doch das Weihnachtsgeschäft in vielen Fällen den Löwenanteil des Jahresumsatzes aus. Und trotzdem: Es nervt, es ist penetrant, es ist halt mal wieder Vorweihnachtszeit.

Ist es nur meiner verklärten Kindheitserinnerung zuzuschreiben, dass ich das Gefühl habe es wird von Jahr zu Jahr schlimmer? Irgendwie war es früher kuscheliger und ein Hauch von Besinnlichkeit wehte durch das Dorf meiner Kindheit. Aber Nostalgie macht gerade zur Weihnachtszeit alles nur noch schlimmer. Wir müssen uns den gegenwärtigen Tatsachen stellen und Position beziehen: Mitmachen oder Totalverweigerung? Oder gibt es noch etwas dazwischen? Hoffentlich. Ich bin kein Weihnachtshasser, mir geht nur die Vermarktung eines an sich sehr schönen Festes total gegen den Strich. Das ist wie ein Betonklotz-Hotel an einem einsamen Traumstrand, einfach unpassend.

Und es macht die Menschen irre. Wer schon mal in Berlin zwei Tage vor Heiligabend einkaufen war, weiß wovon ich spreche. Letztes Jahr habe ich am 22ten Dezember die Sprechstundenhilfe meines Hausarztes auf dem Kudamm getroffen. An sich eine sehr nette und ruhige Person, immer ausgeglichen und freundlich. Erkannt habe ich sie an diesem Tag eigentlich nur an ihren auffallend roten Haaren. Der Rest von ihr war unter einem Umhang aus Einkaufstüten verschwunden. „Hallo Frau Schmeling…“, habe ich gesagt „…noch auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken?“ Sie bedachte mich mit einem gehetzten Blick, raffte ihre Tüten enger zusammen und schlug einen Haken, um mir auszuweichen. „Nein, lassen sie mich, ich gebe nichts!“, ranzte sie mich an und stürmte Richtung Eingang KadeWe, dem Tempel der Konsumgläubigen. Weg war sie. Ich war baff, sie hatte mich nicht erkannt. Dabei hatte sie mir noch knapp drei Wochen vorher eine Grippeimpfung verpasst und dabei lachend gesagt: „Na Herr Mxxxxx, besser ist…bald ist ja Weihnachten, da wollen wir ja nicht krank werden.“ Und jetzt das: Ich gesund und sie schwer infiziert vom Weihnachtsgeschenkevirus. Eigentlich schade, dass es dagegen keine Impfung gibt.

Wo wir schon beim Wundern über die psychischen Auswirkungen von Weihnachten sind: Ich staune immer wieder über das Phänomen der Eintags-Christen. So nenne ich alle Menschen, die das ganze Jahr lang fleißig über die nervenden Kirchenglocken meckern, aber Heiligabend in die Mitternachts-Messe pilgern. Als gäbe es dort Absolution auf Vorrat für die nächsten 364 Tage kirchenfreie Zeit. Aber Gott ist ja eine barmherzige und nachsichtige Macht. Hoffentlich ist er auch Pragmatiker genug, um sich zu denken: Naja, besser meine Schäfchen kommen einmal im Jahr, als nie. Da könnte er sich ein Beispiel an den Zahnärzten nehmen, die denken nämlich genau so über ihre Patienten.

Auch immer ein Thema zur Weihnachtszeit: Das Wetter. Gibt es nun weiße Weihnachten, oder nicht? Ich muss zugeben, mich irritiert es auch, wenn es im Dezember Tage gibt an denen man überlegt, ob man die Jacke überhaupt braucht. Irgendwie war das früher auch anders. Nicht besser, nur anders. Da lag noch Schnee im Winter, meine ich mich zu erinnern. Vielleicht ist aber auch das so ein Fall von verklärter Erinnerung. Hier in Berlin legt sowieso niemand gesteigerten Wert auf Schnee. Fünf Minuten sieht er schön aus, um dann von den Autos in einen braunen Matsch verwandelt zu werden, der einem unschön an die Hosenbeine spritzt. Vielleicht wundert sich der eine oder die andere, warum ich überhaupt noch in Berlin lebe…? Nun, Weihnachten ist ja nur einmal im Jahr. Es geht vorbei. Dann kommt noch die Silvesterknallerei und danach Januar und Februar, die perfekten Monate für eine gepflegte Winterdepression. Aber im Frühling ist Berlin echt toll.

Jetzt bin ich etwas abgeschweift, sorry. Genau, Weihnachten war das Thema. Meine Frau und ich halten den Ball zu diesem Fest extrem flach. Keine Deko (ich habe tatsächlich Weihnachtsmänner an Balkongeländern baumeln gesehen), keine Geschenkeorgie und Tannenbäume liegen spätestens ab dem 27ten zuhauf in den Straßen. Die kriegen dann die Elefanten im Tierpark zum Fressen. Wahrscheinlich freuen wenigstens die sich so richtig auf Weihnachten. Und nein, ich bin immer noch kein Weihnachtshasser. Mir tut im Grunde bloß dieses Fest sehr leid, das hat es einfach nicht verdient. Wahrscheinlich sitzt es regelmäßig mit Ostern in einer Selbsthilfegruppe für missbrauchte Kirchenfeste und sagt: „Mein Name ist Weihnachten.“ Die Gruppe sagt: „Hallo Weihnachten.“ Und Weihnachten sagt: „Ich bin irgendwie so traurig, dieses Jahr…“ In diesem Sinne: Frohe Weihnachten. Ehrlich!

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37 Kommentare

ich arbeite in der Gastronomie, für mich sind das drei nicht-ganz-normale (der Begriff Ausnahmezustand beschreibt es halbwegs treffend) Arbeitstage ... aber ich liebe Weihnachten und freue mich trotzdem drauf !!
Ich war noch nie ein Weihnachtsmensch und bin jedes Jahr froh, wenn der Rummel vorbei ist. Als die Kinder klein waren, habe ich ihnen natürlich immer ein traditionell schönes Weihnachten bereitet, aber heute beschränke ich alles auf das notwendigste. Am zweitem Januar fliegt die Weihnachtsdeko raus und es kommen gelbe Blumen in die Vase. Jeder der versucht hat mich zu einem Weihnachtsliebhaber umzuerziehen, ist kläglich gescheitert. Liegt vielleicht daran, daß ich als Kind keine Familie hatte.
Ich bin ein ausgesprochener "Weihnachtsmensch". Ich dekoriere unser Haus ziemlich üppig, aber nicht übertrieben. Elektrische Weihnachtsbeleuchtung gibt es bei uns nicht, obwohl ich die teilweise auch leiden mag.
Uns ist es wichtig, daß wir in der Advents- und Weihnachtszeit auch mal zur Ruhe kommen und bei Kerzenlicht die schönen Texte in dem Kalender "Der andere Advent" lesen. Das schaffen wir nicht jeden Tag, denn wir haben auch viele Termins und sind deshalb oft unterwegs. Aber dann lesen wir am nächsten Tag eben zwei Texte .Außerdem singen wir auch Advents- und Weihnachtslieder. Daneben habe ich das große Glück, in einem Chor mitzusingen, der am kommenden Sonntag das Weihnachtsoratorium von Bach aufführt. Diese Musik bringt auch sehr viel Weihnachtsfreude in unsere Herzen.
Du hast mit Deinem Kommentar insofern recht, als Du es bedauerst, daß für so viele Menschen Weihnachten vor allem mit Stress verbunden ist. Das tut mir auch immer sehr leid. Wenn man völlig abgehetzt am Tannenbaum ankommt, kann man Weihnachten kaum noch richtig genießen. Allerdings ist dieser Streß auch nicht immer selbstverschuldet, denke ich.
Zu Deinem Vorwurf an die "Weihnachtschristen": Ich habe diese Meinung schon oft gehört. Aber andererseits finde ich es besser, wenn man dieses eine Mal in die Kirche geht als nie. Ich selbst gehe sehr oft in die Kirche. Ich bin praktisch in der Kirche groß geworden und habe auch Theologie studiert. Trotzdem sehe ich nicht auf die herab, die es das übrige Jahr nicht schaffen, Gottesdienste zu besuchen, zumindest versuche ich es. Ganz frei bin ich von diesen Gedanken aber auch nicht.
Ich finde Deinen Kommentar im großen und ganzen gut und zumindest eine Anregung, sich das eigene Weihnachtsverhalten einmal klar zu machen.

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